Grunderwerbsteuerreform insbesondere im Zusammenhang mit Share Deals – das Hase-und-Igel-Spiel geht in die nächste Runde.

18. November 2019

Die deutsche Grunderwerbsteuer hat sich seit vielen Jahren zu einem immer komplexeren Rechtsgebiet entwickelt. Dies betrifft in erster Linie die sog. Ergänzungstatbestände, die über die Jahre hinweg schrittweise verengt wurden, um steuerlichem Missbrauch den Garaus zu machen. Dabei schießt der Gesetzgeber nicht selten über das eigentliche Ziel hinaus und entdeckt in der steuerlichen Bastelstube neue Möglichkeiten zur Schaffung einträglicher Finanzquellen. Dabei wird die Materie stetig mit weiterer Verzwicktheit versetzt, die selbst Experten die Grenzen ihrer geistigen Aufnahmefähigkeit erkennen lässt.

Mit der aktuellen Grunderwerbsteuerreform und den Wirren des Gesetzgebungsverfahrens findet dieses Unterfangen einen neuerlichen Höhepunkt. Der Gesetzgeber sah sich zwar gezwungen, die beabsichtigten Verschärfungen, die insbesondere auf Kapitalgesellschaften mit inländischem Grundbesitz abzielen (sog. Share Deals), aufgrund vehementer Kritik aus der Wirtschaft und den Fachkreisen sowie zuletzt infolge der Stellungnahme des Bundesrates in die erste Hälfte des kommenden Jahres 2020 zu verschieben, gibt aber nicht verlässlich zu erkennen, wann die Neuregelungen nun in Kraft treten. D.h., es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass zumindest Teile der Gesetzesänderungen wie ursprünglich geplant zum 01.01.2020 Geltung entfalten sollen (zur Möglichkeit einer steuerlichen Rückwirkung siehe nachstehend in diesem Beitrag).

In entsprechenden Fällen könnte daher noch vor dem Jahresende dringender Handlungsbedarf bestehen.

Mit dieser Praxis-Beilage geben wir einen Überblick über den Stand der Dinge und fassen den grundsätzlichen Inhalt der zu erwartenden grunderwerbsteuerlichen Änderungen zusammen.

Die wesentlichen Änderungen des Gesetzes zur Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes im Überblick

Der Referentenentwurf aus dem August 2019 sieht die folgenden wesentlichen Änderungen vor:

  • Die für die Ergänzungstatbestände (Anteilsvereinigung) maßgebliche Beteiligungsquote soll von 95% auf 90% abgesenkt werden, und zwar für sämtliche grunderwerbsteuerlichen Ersatztatbestände (§ 1 Abs. 2a, 3 und 3a GrEStG).
  • Die bisher für Personengesellschaften geltende 5-Jahresfrist soll auf 10 Jahre verlängert werden (§ 1 Abs. 2a GrEStG).
  • Nach derzeitiger Rechtslage führt ein Gesellschafterwechsel von mindestens 95% (künftig 90%) der Anteile bei einer Personengesellschaft mit Grundbesitz innerhalb eines Zeitraums von 5 Jahren (künftig 10 Jahren) zur Steuerpflicht.
  • Es ist geplant, eine vergleichbare Regelung für grundbesitzende Kapitalgesellschaften einzuführen, wobei jedoch die personenbezogenen Vergünstigungen wie für Personengesellschaften hier – d.h. für KapGes – nicht gelten sollen (§ 1 Abs. 2b GrEStG (neu)).
  • Eine Ergänzung in § 6a GrEStG soll lt. der Gesetzesbegründung sicherstellen, dass die Steuerbefreiung der Konzernklausel grundsätzlich auch anwendbar ist, wenn die unmittelbaren oder mittelbaren Wechsel auf neue Anteilseigner, die den neuen Erwerbstatbestand im Sinne des § 1 Abs. 2b GrEStG auslösen, ganz oder teilweise auf einer Umwandlung oder Einbringung beruhen.
  • Auch wenn die Neuregelung erst Anfang 2020 in Kraft treten soll, sind umfangreiche Übergangsregelungen vorgesehen, die sich bei der Ermittlung der Betrachtungszeiträume auch in die Vergangenheit auswirken. So soll unter anderem auch abgesichert werden, dass bei vorhandenen Strukturen, bei denen ein Investor mindestens 90%, aber weniger als 95% der Anteile innehat, eine steuerneutrale Aufstockung der Anteilsquote nicht möglich ist.

Übertriebene gesetzgeberische Vorsicht bei § 1 Abs. 2b GrEStG (neu)

Der Gesetzgeber begründet die beabsichtigte Neuregelung für Kapitalgesellschaften mit dem Ziel der Missbrauchsverhinderung. Besteuert werden soll danach eine Kapitalgesellschaft mit inländischem Grundbesitz, bei der sich der Kreis der Gesellschafter innerhalb eines sehr langen Zeitraums – von nämlich 10 Jahren – wesentlich geändert hat. Der Begriff „wesentlich“ wird im Gesetzentwurf zwar nicht verwendet, ist aber angebracht, wenn – so im Entwurf – mindestens 90% der Anteile der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar auf neue Gesellschafter übergehen. Dabei müssen die einzelnen Gesellschafter nicht in irgendeiner Form zusammenwirken und es kommt nicht auf die individuellen Beteiligungsquoten der einzelnen Gesellschafter des neuen Gesellschafterbestandes an. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers mutiert die Kapitalgesellschaft – gleichgültig ob GmbH, AG oder als sonstiger kapitalistischer Rechtsträger – bei einer „wesentlichen“ Änderung des Gesellschafterbestands nämlich zu einer neuen Kapitalgesellschaft. Da die Gesellschaft nicht mehr dieselbe ist, muss auf sie der inländische Grundbesitz – natürlich fiktiv – übergegangen sein. Eine so weit gefasste – um nicht zu sagen grenzenlose – Vorschrift kann nicht mehr mit dem Grund der Missbrauchsverhinderung gerechtfertigt werden, denn ein konkret erkennbarer Steuerumgehungssachverhalt wird nicht anvisiert. Kurz gesagt bestehen gegen diese Regelung ganz erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Um die Rechtfertigung einer Missbrauchsverhinderungsnorm zu erreichen, hat der Gesetzgeber eine zielgenaue Missbrauchstypisierung zugrunde zu legen, z.B. in der Weise, dass durch eine derartige Regelung von vornherein nur solche Gesellschaften erfasst werden, deren Vermögen ganz oder überwiegend aus Immobilien besteht. Nur in diesem Zusammenhang erscheinen Maßnahmen zur Umgehung der Grunderwerbsteuer objektiv vorstellbar.

Änderungsvorschläge des Bundesrates

Der Bundesrat hat am 20.09.2019 zu den geplanten Änderungen des Grunderwerbsteuergesetzes im Hinblick auf Share Deals kritisch Stellung genommen. Insbesondere schlägt der Bundesrat zur Begrenzung des geplanten § 1 Abs. 2b GrEStG (neu) auf ein einigermaßen sinnvolles Maß eine Ergänzung um eine sog. Börsenklausel vor. Danach soll die Neuregelung nicht für Kapitalgesellschaften anwendbar sein, deren Anteile überwiegend zum Handel an einer inländischen oder EU-/EWR-ausländischen Börse oder an einem von der EU als gleichwertig angesehenen Drittlandhandelsplatz zugelassen sind. Die Börsenklausel soll außerdem bei der Prüfung des Vorliegens eines neuen Gesellschafters von zwischengeschalteten Kapitalgesellschaften für den Anteilseignerwechsel bei grundstücksbesitzenden Personengesellschaften gelten (Ergänzung zu dem bereits existenten § 1 Abs. 2a GrEStG). Weitere Anregungen des Bundesrates betreffen Fragen der zeitlichen Anwendung – insbesondere zur Absicherung des Prinzips des Vertrauensschutzes – und die Konzernklausel des § 6a GrEStG.

Reaktion der Bundesregierung

In einer Presseerklärung teilten die finanzpolitischen Sprecher der Koalitionsfraktionen am 24.10.2019 mit, dass das Gesetzgebungsverfahren zur Eindämmung der Share Deals bei der Grunderwerbsteuer nun doch nicht kurzfristig abgeschlossen werden könne und somit nicht – wie ursprünglich vorgesehen – am 01.01.2020 in Kraft trete. Das Gesetzgebungsverfahren würde nunmehr im ersten Halbjahr 2020 zum Abschluss gebracht. Die gesetzgeberische Umsetzung brauche – wie jetzt erkannt wird – etwas mehr Zeit. Am Folgetag (25.10.2019) erging mit der Drucksache 19/13546 eine schnelle Gegenäußerung der Bunderegierung zur der Stellungnahme des Bundesrates. Zu den Vorschlägen betreffend § 1 Abs. 2a und 2b GrEStG (Börsenklausel) wird ausgeführt: „Die Bundesregierung stimmt dem mit dem Änderungsantrag verfolgten Anliegen zu. Die konkrete Ausgestaltung des Vorschlags bedarf jedoch der vertieften Prüfung.“ Die Ratschläge zur Anpassung des § 6a GrEStG (Konzernklausel) würden geprüft. Dabei sollen jedoch bevorstehende Entscheidungen des BFH zu § 6a GrEStG zunächst abgewartet werden. Zurzeit sind mehrere Verfahren mit den Az. BFH II R 15/19; BFH II R 16/19; BFH II R 17/19; BFH II R 18/19; BFH II R 19/19; BFH II R 20/19 und BFH II R 21/19 anhängig. Vor diesem Hintergrund ist es unseres Erachtens unwahrscheinlich, dass die angekündigte Prüfung der § 6a GrEStG-Anpassung noch im laufenden Gesetzgebungsverfahren vollendet werden kann.

Börsenklausel – das Mindestmaß der Korrektur

Die Bundesregierung wird an dieser Stelle dem Rat des Bundesrates folgen müssen, denn so, wie sich der Entwurf des § 1 Abs. 2b GrEStG (neu) bislang darstellt, besteht bei börsennotierten Aktiengesellschaften (oder KGaA oder SE) eine Unmöglichkeit der Tatbestandsermittlung und die Regelung muss unter dem Gesichtspunkt der Gleichmäßigkeit des Steuervollzugs beanstandet werden. Es wird schlicht unmöglich sein, exakt festzustellen, wie sich die Aktien/Anteile im Börsenhandel in andere Hände bewegen. Die Mitteilungspflichten des Meldepflichtigen nach § 33 Abs. 1 WpHG reichen hier jedenfalls nicht aus. Im Übrigen muss diesbezüglich nur vergegenwärtigt werden, dass z.B. die im DAX gelisteten Gesellschaften (der Index repräsentiert ca. 80% der Marktkapitalisierung der in Deutschland börsennotierten KapGes) zu deutlich über 50% im Eigentum ausländischer Investoren stehen und – vor allem – dass sich ca. 82% der Anteile im Streubesitz befinden (lt. DAX-Analyse EY April 2018). Darüber hinaus reicht die Umschlaghäufigkeit der Anteile aus, um in geschätzten zeitlichen Abständen von drei bis vier Jahren immer wieder Grunderwerbsteuer auf die eigenen Betriebsgrundstücke auszulösen. Sofern man sich nicht mit einem Ankeraktionär schützt, werden dadurch zulasten auch der Aktionäre ständig Kapital und Börsenwerte vernichtet. BASF schätzt – sofern die Gesetzesidee der Bundesregierung keinen Einhalt findet – einen sogar annähernd jährlichen Anfall von Grunderwerbsteuer mit einer Steuerbelastung in jeweils dreistelliger Millionenhöhe. Darüber hinaus ist insbesondere für das Umfeld der börsennotierten Kapitalgesellschaften darauf hinzuweisen, dass die Aktionäre, die im anonymen Kapitalmarkt investieren, mit ihren Unternehmensbeteiligungen nicht auf den Erwerb von Grundbesitz, sondern auf eine Beteiligung an der Ertragskraft der Konzerne abzielen – mithin auf Gegenleistungen für die Kapitalhingabe in Form von Dividenden und/oder Kursgewinnen. Dem ist nicht mit einer verkehrsteuerlichen Fiktion zu begegnen. Tut man dies gleichwohl, befindet man sich auf dem steuersystematischen Holzweg.

Handlungsbedarf aus grundsätzlicher Sicht – steuerliche Rückwirkung ggf. nicht ausgeschlossen

Abgesehen von den oben angerissenen potenziellen Folgen im Umfeld der gelisteten Konzerne und den damit ausgelösten kontroversen Diskussionen müssen sich insbesondere die Immobilienwirtschaft, aber auch mittelständische Unternehmensgruppen auf die zu erwartenden Neuregelungen einrichten. Dies betrifft aktuell die Frage, wann die – wohl noch zu überarbeitenden – Gesetzesänderungen in Kraft treten. Ursprünglich geplant war der 01.01.2020. Nach den Kontrapunkten des Bundesrates und in Anbetracht des Wortlauts der Pressemitteilung der Koalition aus dem Oktober scheint es so zu sein, dass die Gesetzesänderungen erst zu einem späteren Zeitpunkt im Verlauf des Jahres 2020 wirksam werden. Der bisherige Gesetzentwurf war zudem in die Zukunft gerichtet und beinhaltete keine steuerliche Rückwirkung. Eine verlässliche Grundlage für die zeitliche Einschätzung der kommenden Gesetzesimplementierung ist das allerdings nicht, zumal die bisherigen Verlautbarungen – einschließlich der erwähnten Pressemitteilung – eine Rückwirkung auf dem 01.01.2020 nicht grundsätzlich ausschließen. Bei einem solchen Vorgehen läge ein Fall der sog. echten Rückwirkung vor, bei dem der Gesetzgeber enge verfassungsrechtliche Grenzen zu beachten hat. Eine Ausnahme vom Rückwirkungsverbot besteht allerdings dann, wenn das Vertrauen in den – wenn auch zeitlich begrenzten – Fortbestand einer steuerrechtlichen Regelung bereits zerstört ist. Ausgehend von den Entscheidungen des BVerfG, die sich allerdings noch nicht allzu häufig mit zu einem konkreten Zeitpunkt entstehenden (Verkehr-) Steuern beschäftigt haben, könnte man zugrunde legen, dass das schutzwürdige Vertrauen bereits mit der Veröffentlichung des ersten Gesetzentwurfs verwirkt ist. Ob sich der Gesetzgeber bei der aktuellen Strenge seines Vorgehens gegen – größtenteils nur vermeintlich – missbräuchliche Strategien der Vermeidung von Grunderwerbsteuer zur rückwirkenden Inkraftsetzung verleiten lassen wird, bleibt abzuwarten. Es ist jedenfalls dringend zu empfehlen, Vorgänge, die durch die geplanten Gesetzesänderungen berührt werden, noch innerhalb des Jahres 2019 zum Abschluss zu bringen oder in das laufende Jahr vorzuziehen. Ergänzend sei erwähnt, dass die grunderwerbsteuerlichen Neuregelungen ebenfalls in entsprechende Tax Compliance Systeme integriert werden sollten, um durch diesbezügliche Prozesse bzw. Warnstufen unbeabsichtigt verursachte Grunderwerbsteuer zu vermeiden. Dies ist vor allem bei Unternehmensgruppen mit einer komplexeren bzw. vielschichtigen Struktur ratsam.

Resümee

Sollte eine Übertragung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft mit inländischem Grundbesitz beabsichtigt sein, muss den verschärfenden Neuregelungen mit der anstehenden Grunderwerbsteuerreform dringend Beachtung geschenkt werden. Diese Regelungen sind teilweise kompliziert und verengen das steuerliche Gestaltungsumfeld sehr einschneidend – teilweise zu Recht, teilweise zu Unrecht. Die Reform wurde zwar in die zweite Hälfte des nächsten Jahres 2020 verschoben, mit Unsicherheit behaftet ist allerdings, ob nicht doch zu dem scharfen Schwert einer steuerlichen Rückwirkung auf den 01.01.2020 gegriffen wird. Ganz auszuschließen ist das jedenfalls nicht. Vorgänge, die von den Neuregelungen berührt werden, sollten gegebenenfalls noch rechtzeitig vor dem Jahresende umgesetzt werden, um sicher noch unter die derzeitigen grunderwerblichen Vorschriften zu fallen. Im Hinblick auf die angesprochene Nachbesserung einer Börsenklausel in § 1 Abs. 2b GrEStG (neu) ist nicht nur den Konzernen, sondern allen Anlegern, die in ihren Depots auf deutsche Aktien setzen, zu wünschen, dass die Bundesregierung mit dem frischen Schwung des neuen Jahres die steuerliche Reparaturzange zum Einsatz bringen wird.

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Christoph Bergedick LL.M.
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Ralf Corterier
Diplom-Kaufmann, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Partner
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Thomas Ernst Müller
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Gerd Scholten
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